Es kann im Jahr 1958 gewesen sein, ich hatte einen
Lebensmittelladen, den ich mit meiner Frau führte. Eines Tages kam der Vertreter der
Firma Maggi, ein Herr Brinkmann aus Neuss und wollte uns als neuen Mitarbeiter und
Dekorateur den Herrn A. Schmitz vorstellen. Wir zwei freuten uns über das Wiedersehen,
hatten wir doch den Krieg, bis auf einige Blessuren, halbwegs gut überstanden.
Andreas sprach nicht viel, sein Sprachfehler hatte keinerlei
Besserung erfahren. Um diese Zeit fingen die Firmen eigentlich mit intensiver Werbung an,
und wir wurden regelmäßig von Herrn Brinkmann und seinem Dekorateur besucht. Dann
erschien Herr Brinkmann eines Tages allein. Ich fragte natürlich gleich, ob Herr Schmitz
nicht mehr bei Maggi sei, Herr Brinkmann erzählte mir, daß Herr Schmitz Urlaub hätte,
aber die Erzählung ließ mich wissen, daß Herr Brinkmann auch angesteckt war. Er
erzählte mir dann eine Episode, die wie folgt ablief.
Brinkmann und Schmitz fuhren ab Wohnung Brinkmann zum Lebensmittel-
Großhändler Gebrüder Kames in Neuss. Da am Lager Kames keine Fondor-Würfel vorhanden
waren, aber Herr Brinkmann noch welche im Keller hatte, sollte Herr Schmitz dort ein
Gebinde holen. Herr Schmitz fuhr in Richtung Brinkmann und wurde auf einer Kreuzung in
einen Unfall verwickelt. In solchen Fällen kommt zum Sprachfehler noch die Nervosität
hinzu, so daß die Zunge kaum ein Wort über die Lippen läßt. Es dauerte geraume Zeit,
bis Frau Brinkmann, die ihm die Türe geöffnet hatte, von dem Unfall erfuhr. Dann schlug
sie die Hände über den Kopf: Um Gottes Willen Herr Schmitz, und wo ist mein
Mann?. Nun dauerte es eine ganze Weile bis nach vielen Ansätzen: Ihr
Mann..., ihr Mann... und endlich das erlösende ihr Mann
... ist bei Kames! heraus kam.
Der gleiche Andreas Schmitz kam dann mehrere Jahre später als
Vertreter der Firma Sonnen Nudeln und sprach fließend und ohne jegliche Störung.
Nun wieder zurück zu meinem Lehrbetrieb. Das erste Lehrjahr ging so
langsam dem Ende entgegen. Zu dieser Zeit wurden noch die drei Sonntage vor Weihnachten
von den Gewerbetreibenden mit Bronze- Silber- und Goldsonntag bezeichnet. An solchen
Verkaufstagen mußten wir Bürokraten an irgend einer Stelle im Geschäft einspringen. Die
Aufgabengebiete gingen vom Verkaufen bis Kassieren, Aufzugfahren oder an den einzelnen
Packtischen einspringen. Ich habe alle diese Arbeiten gerne getan und immer dabei gelernt.
Manchmal mußte ich auch für Herrn Steffens kleine Botengänge
erledigen. Dabei kam es vor, daß ich auch zu seiner Frau in die Wohnung mußte. Frau
Steffens war eine herzensgute Frau, die mich dann immer verwöhnte. Es war immer amüsant,
wenn ich dann zurück kam und er schon ausgerechnet hatte, wie lange ich bei seiner Frau
war. Wenn ich dann noch aufzählte, was ich von ihr wieder alles bekommen hatte, polterte
er los, aber unter seiner rauhen Schale war doch ein guter Kern.
Nachdem ich gut ein Jahr im Einkauf und somit bei Herrn Steffens
war, eröffnete er mir eines Tages: Jetzt kommst du zu der Kerkemus (Kirchenmaus) in
die Möbelabteilung. Die Kirchenmaus war der Herr Peter Schmitz. Er hatte bei Rud
van Endert gelernt und war mittlerweile als Kriegsversehrter in die Heimat entlassen. Sein
linker oder rechter Arm war gelähmt. Herr Schmitz hatte sich wegen seiner Winzigkeit als
Lehrjunge den Namen Kirchenmaus bei Herrn Steffens eingehandelt.
Ich war ja auch für mein Alter ziemlich klein, aber ihm konnte man
- wie man sagt - den Wind durch die Wangen blasen. Er leitete die Möbelabteilung im
Souterrain und wurde von Fräulein Drossart, einer rassig rotblonden Verkäuferin,
unterstützt. Hier lernte ich nicht nur die bürokratischen Floskeln beim Ein- und Verkauf
von Möbeln kennen, sondern konnte auch mal einen Kleiderschrank oder ein anderes
Möbelstück auseinander nehmen und wieder aufbauen. Außerdem lernte ich den Fahrer der
Pferdelieferwagen, den Herrn Hühnerbein, sowie den LKW-Fahrer Herrn Leuchten kennen.
Zudem mußte ich jeden Morgen fünf französische Kriegsgefangene im Gefangenenlager
abholen und diese abends, wenn ich zum Zug ging, wieder dorthin bringen.
In der unteren Reihe
knieend befinden sich vier der fünf Gerfangenen
Entgegen aller Verbote und Propaganda hatte sich zwischen uns
schnell eine menschliche Freundschaft entwickelt. Die Namen der Gefangenen waren:
Blanchard, Courland, Massarey, Türchetti und Tüfferie. Sie mußten damals im Hause van
Endert die Arbeiten der zur Wehrmacht einberufenen Möbelschreiner, Polsterer und Packer
übernehmen.
Weil ich viel mit den Franzmännern zusammen war, verstand ich doch
einiges von dem, was sie erzählten. Die Gefangenen schenkten mir schnell ihr Vertrauen.
Ich war wie eine Schaltstation, wo alles ankam und auch abging. Da die Mühlenbetriebe
sowie die Ölmühlen auch alle auf Gefangene angewiesen waren, kompensierten und tauschten
diese untereinander, was sich unter den Uniformröcken eben verbergen ließ. So konnten
sich alle satt essen und die Raucher brauchten nicht auf ihren Genuß zu verzichten.
Der fünfte im Bunde in Torwartdreß
Es blieb mir auch nicht verborgen, daß einer der Burschen ein
regelrechtes Verhältnis mit einer angesehenen Dame im Geschäft hatte. Ein anderer lieh
sich meinen grauen Berufskittel und konnte damit aus der Gefangenschaft entfliehen. Für
mich gab es auch damals keine Unterschiede zwischen den Menschen, ob Franzose oder Russe,
ob Jude oder Mohammedaner, bis heute bin ich trotz sprachlicher Unterschiede mit allen gut
zurecht gekommen.
Als Rene Massarey, dank meines Berufskittels, die Flucht gelungen
war, gab es in der Firma großen Stunk. Herr Buntenbach hatte alle Arbeitsklamotten der
Franzosen mit übergroßen K G Buchstaben versehen und erfand laufend neue Schikanen, die
relativ stolzen und sauberen Gefangenen zu demütigen. Zuerst wurde ich angesprochen, dann
nahm ich mir kurz entschlossen einen mit zum Chef, und der ließ dann den Herrn Buntenbach
kommen. Als der Herr Buntenbach eintrat, haben wir das Büro verlassen, konnten aber noch
hören, wie unser Chef äußerst erregt seinen Fahrer zur Schnecke machte. Nun war wieder
Ruhe eingekehrt und die Gefangenen konnten sich innerhalb des Hauses wie gewohnt bewegen.
Es gab mittlerweile Lebensmittelkarten, Kleiderkarten sowie für
Möbel, Öfen und dergleichen Bezugsscheine. In unserer Möbelabteilung wurden die ersten
Kriegsmodelle präsentiert. Anfangs kannten wir nur mit Massivhölzern geschreinerte
Möbelstücke, die vom Gewicht her schon ihre Qualität dokumentierten. Die Kriegsmöbel
waren aus Furnierholz und die Rückwände aus gepreßten Holzspänen. Ich hatte damals
Gelegenheit, manches gute Stück an Kleidung oder auch Möbel zu erwerben. In Orken hat
manch einer durch mich ein gutes Textil bekommen, wobei ich auch meine Kasse aufbessern
konnte. Auf Personalkauf bekamen wir zu dieser Zeit 10 % Nachlaß. Unser Personalchef,
Herr Wolfarth, meinte einmal ganz treffend: Du hast aber eine große Familie zu
versorgen.
Bei van Endert gab es auch während meiner Lehrzeit eine
Fußballmannschaft. Leider hatte ich durch die Kriegswirren nur zweimal Gelegenheit, der
Mannschaft - es waren hauptsächlich unsere Dekorateure - die beiden Verkäufer Arno
Schläger und Viktor Landen und ein paar Leihspieler, den Koffer mit der Fußballtracht zu
tragen. So ein Fußballsonntag war wie ein kleines Betriebsfest. Wir hatten immer mehr
Zuschauerinnen als Zuschauer, und alle gingen dann mit in das Vereinslokal. Zu dieser Zeit
gab es noch keine Umkleideräume mit Duschen, irgendwo im Hof befand sich eine
Wasserzapfstelle, woran sich dann 22 Spieler reinigten. Die Gastwirte konnten uns und alle
Gäste nur mit einem dünnflüssigen Bier und etwas Limonade bedienen, Schnäpse und Weine
gab es nicht. Trotzdem sind diese Tage schöne Erinnerungen, weil dann selbst die
Kolleginnen aus Bedburg, trotz schlechter Bahnverbindung, mitmachten. Die Geschwister
Reisepatt, Maria Havenith und Anni Mirgel waren sehr nette Kolleginnen, sie mußten
täglich ca. 30 km mit dem Zug zu ihrer Arbeitsstelle fahren.
Aus Orken waren auch noch einige in Neuss beschäftigt, und zwar
Erich Loers, als Friseurlehrling bei Bürvenich, Hans Königs als Verkäuferlehrling bei
Elbern und Ostermann und Friedel Bell war bei Röttgen auf der Furth im
Lebensmittelgroßhandel. Alle hatten 2 Stunden Mittag und dann trafen wir uns, um Neuss
kennenzulernen.
Da waren zuerst die beiden Originale Männi vom Markt, und Schorch
(Georg). Männi war ein Behinderter, der aber für kleine Botengänge in Marktnähe zu
gebrauchen war, wogegen Schorch - wie man sagte - bei einer Parteiversammlung einen Schlag
auf den Kopf bekommen hatte und nur noch NSDAP-Propaganda vor sich her schrie. Wir lernten
den Stadtwald und den Stadtgarten, den Neusser Hafen und die Rennbahn kennen. Im Sommer
kam der Eismann Berna de Luca jeden Mittag mit seinem Eiswagen bei van Endert an. Während
der kühleren Monate bevorzugten wir eines der Trinkbüdchen, heute würde man Kiosk
sagen. Dort gab es immer einen sogenannten Glühwein, welcher aus irgendeinem Extrakt
hergestellt wurde.
In einem Winter während meiner Lehrzeit war der Rhein zugefroren.
Die gesamte Wasserstraße war mit riesigen Eisschollen, die in allen natürlichen und
bizarren Formen den Rhein unschiffbar machten, bedeckt. Da ein derartiges Naturereignis
nicht jedes Jahr bestaunt werden kann, fuhren wir täglich mit der Straßenbahn Linie 16
bis Südbrücke und mit der 26 zurück.
Auch konnten wir uns die Zeit auf dem Weiher des Stadtgartens mit
Schlittschuhlaufen vertreiben. Es passierte schon oft, daß auch tagsüber Fliegeralarm
gegeben wurde. Dies geschah durch einen sich wiederholenden Heulton. Es gab in Neuss
wenigstens 30 Sirenen und wenn dann Alarm gegeben wurde, hatten schon viele die Nerven
blank liegen. Für die Nachtwachen in der Firma wurden wir auch immer mehr beansprucht. Es
kam vor, daß ich vier mal die Woche wieder nach Neuss mußte. Ich hatte immer Angst, wenn
ich im fahrenden Zug saß. Alles war dunkel, und man sah dann, wie die Scheinwerfer nach
Flugzeugen suchten.
Die Ortschaft Reuschenberg war damals erst einige Jahre alt. In
unmittelbarer Nähe war die Pomona, eine übergroße Baumschule, und dort stand eine Flak-
Batterie, also 4 schwere 8,8 cm Kanonen, die dann auch vom Zug aus zu sehen und besonders
zu hören waren. Einmal, während einer Nachtwache, hatte man den ganzen Neusser Raum zum
Nachtjägergebiet gemacht. Es fiel kein Schuß, aber die Scheinwerfer und Nachtjäger
waren voll in Aktion. Wir gingen bei van Endert oben aufs Dach und erlebten, wie einige
schwere Bomber abgeschossen wurden. Davon sahen wir ein Flugzeug brennend abstürzen,
welches zum Glück nicht in ein bebautes Gebiet niederging.
Meine Lehrzeit hatte jetzt das letzte Jahr erreicht. Ich wurde von
der Möbelabteilung zur Registratur, dort aber zum Herrn Lipp versetzt. Herr Lipp war ein
relativ junger, pfiffiger Kaufmann, der aus einer Neusser Metzgerfamilie stammte. Zu
dieser Zeit war Herr Lipp nur noch halbtags bei van Endert und verbrachte die übrige Zeit
beim Wehrbezirkskommando als Soldat. Wenn er mal in Uniform im Büro erschien, grinste die
ganze Abteilung. Herr Lipp hatte weder Figur noch Format, eine Uniform zu tragen. Im Büro
des Herrn Lipp befanden sich zu dieser Zeit schon elektrische Büromaschinen, und zwar
eine Addiermaschine und eine Rechenmaschine, die sämtliche Rechenvorgänge, wenn auch
laut rumorend, erledigte. Herr Lipp hat mich jedenfalls in kurzer Zeit prüfungsfähig
für die kaufmännische Gehilfenprüfung gemacht.
Die Mitgliedschaft in der Feuerwehr-HJ machte mir trotz mancher
Widrigkeiten und Entbehrungen allmählich Freude. Die Führerschaft, sowie alle
Mitstreiter, waren prima Kameraden. Die politische Richtung hatte wenig mit NSDAP zu tun.
Wir wurden von den anderen HJ-Einheiten mit den Edelweißpiraten gleichgestellt. Zudem
waren wir stets mit der aktiven Feuerwehr zusammen. Die ehemaligen freiwilligen
Feuerwehren von Orken, Elsen, Noithausen und Grevenbroich wurden zu einer Wehr
zusammengefaßt und die Feuerwehrleute mußten bei jedem Fliegeralarm, der Einteilung
entsprechend, genau wie wir Jugendlichen, im Rathaus in Grevenbroich erscheinen.
Grevenbroichs Feuerwehr verfügte damals über drei Feuerwehrwagen,
diese waren der Zeit entsprechend gut ausgerüstet, und waren bei der Firma Gebrüder
Erkens, also dort, wo sich jetzt die Stadtparkinsel befindet, untergebracht. Die Fahrer
dieser Wagen waren als Maschinisten ausgebildet, und in diese Richtung war auch mein
Interesse verankert.
Der Kleinste der drei Feuerwehrwagen war ein Opel-Blitz, bei dem die
Saug- und Druckpumpe noch lose im Fahrzeug untergebracht war. Das war genau der Wagen, den ich in mein Herz geschlossen hatte. Ich ließ
keine Gelegenheit aus, mich mal auf den Fahrersitz zu begeben, und weil diese Einsatzwagen
ständig zum Einsatz bereit stehen mußten steckten auch die Zündschlüssel im
Zündschloß. Zuerst wurde der Motor nur mal angelassen, dann steigerte sich das Interesse
immer mehr. Ein aktiver Maschinist namens Johann Schweren zeigte mir das eine oder andere,
und eines Tages hatte ich den Wagen auf dem Platz vor den Garagen stehen. Nun war guter
Rat teuer, denn die Kiste gehörte ja in die Garage. Meine Kameraden halfen mit guten
Ratschlägen, ich probierte solange, bis ich den Rückwärtsgang richtig einlegen konnte,
und siehe da, der Opel-Blitz stand wieder, und ohne Blessuren, in der Garage. Mein Herz
schlug mir zwar bis zum Hals, und der Schweiß lief in Strömen, aber ich hatte den Anfang
einer Fahrpraxis gemacht, die mir noch oft im Leben zugute kam.
Ich habe in den kommenden Monaten jede Gelegenheit wahrgenommen,
beaufsichtigt oder unbeaufsichtigt, mich hinter ein Autosteuer zu klemmen, um meine
Leistungen im Autofahren zu verbessern. Sonntags war meistens Dienst angesetzt. Das hieß
für die Feuerwehr-HJ Übungen. Uns wurde erklärt, wie sich ein Feuerwehrmann im Einsatz
ausrüsten muß, wenn er dem Angriffstrupp, Wassertrupp, oder Schlauchtrupp zugeteilt ist.
Die aktive Wehr hatte ihre Übungen mit uns zusammen. Man konnte, wenn man sich bemühte,
auch dabei vieles lernen.
Die Feuerwehrmänner waren größtenteils Selbständige, die auf
Grund ihres Hofes oder Betriebes von der Wehrmacht reklamiert waren und deshalb den Dienst
in der Wehr leisten mußten. Wir wuchsen mit der Zeit zu einer Gemeinschaft zusammen.
Damit meine ich, daß, wenn mal einer fehlte, sei es einer von den aktiven Wehrleuten oder
von der Feuerwehr-HJ, eine gewisse Unzufriedenheit herrschte. Wir waren mittlerweile
derart gut trainiert, daß in den kommenden Ernstfällen die 15-jährigen genau so ihren
Mann standen wie die aktiven Feuerwehrmänner.
Die Zeit der wirklichen Luftangriffe war nämlich angebrochen.
Natürlich waren es noch nicht die Angriffe, die aus dem totalen Krieg resultierten, aber
die Städte Köln, Düsseldorf, Krefeld oder auch Wuppertal wurden doch schon konzentriert
angegriffen und die Feuerwehr Grevenbroich kam in diesen Städten zu ihren ersten
Einsätzen außerhalb Grevenbroichs. Es waren alles Nachteinsätze. Wir wurden mit einem
Löschzug auf Anforderung in Marsch gesetzt, und kamen am folgenden Tag selten vor 12 Uhr
zurück, so daß an diesen Tagen die Arbeit ausfiel. Bei diesen Löscheinsätzen -
Sprengbomben fielen zu der Zeit noch wenige - kam es auch vor, daß wir bei beschädigten
Wohnungen mit aus- oder wieder einräumen mußten.
Einmal hatten wir einen Einsatz auf der Gustav-Poensgen-Straße in
Düsseldorf. Da hatte es die Damen vom ältesten Gewerbe erwischt. Wir mußten ihre
Utensilien nach unten auf den Bürgersteig bringen. Ob ihr Gewerbe von dort aus weiter
betrieben wurde ist mir nicht bekannt. Jedenfalls waren unsere Jugenderlebnisse
vielfältiger Art.
Unsere Feuerwehr-HJ war ein toller Haufen. Uns konnte nichts
auseinanderbringen und wenn im Hintergrund nicht die NSDAP gewesen wäre, würde ich heute
noch Loblieder anstimmen. Karl Heinz Eske war unser Fähnleinführer, Fritz Koch war
Jungscharführer, beide aus Grevenbroich. Dann kam das einfache Volk, gemischt aus Orkener
und Grevenbroicher Jungens. Ob Bernings Heinz (Decke) oder Vogts Heinz, ob Krüppels Kurt,
Hinsens Lang, Rheinbergs Pupei, Schmitz Willi (Sommer), Bell Friedel, Königs Hans,
Pröppers Karl oder Schwedens Karl. Die politische Einstellung von uns war, obwohl nie
davon gesprochen wurde, bei allen gleich.
Karl Heinz Eske konnte sich
auch in Luftwaffenuniform sehen lassen
Dazu kam noch die aktive Wehr mit Wehrführer Rudolf Hartmann, den
Aktiven Hans Rheinberg, Karl Breiden, Karl Wüsthoff, Karl Dönig, Josef Kessel, Josef
Thomaß, den Orkenern Andreas Holz, Arnold Voss, Anton Weifeuer, Josef Handek und Johann
Schweren. Von der ehemaligen Aktiven Feuerwehr ist leider kein Zeitzeuge mehr vorhanden
wogegen von der Feuerwehr-HJ noch einige meine Aufzeichnungen bestätigen können. Die
Feuerwehr feierte auch jedes Jahr einen Kameradschaftsabend. Es wurde trotz aller Armut
von den Feuerwehrleuten und einigen Gönnern noch soviel zusammengebracht, so daß ein
schönes Fest gefeiert werden konnte. Selbstverständlich waren wir Jugendlichen auch
eingeladen.
Unser damaliger Bürgermeister Wilms war zu dieser Zeit
Kreiswehrführer und kam natürlich auch zu dieser Veranstaltung. Ich hatte der
Autofahrerei wegen einige Male mit dem Bürgermeister Meinungsverschiedenheiten und bekam
nun durch einen Vortrag Gelegenheit kundzutun, wie sehr mir das Autofahren am Herzen lag.
Mein erster Auftritt vor über 100 Menschen, mit hochrotem Kopf und
allerschnellstem Pulsschlag hörte sich wie folgt an:
Ich glaub, ihr habt's noch
nicht vernommen,
der Divisionsfahrer ist
angekommen.
Ihr kennt den lieben Mann
wohl nicht,
ich kann's Euch sagen, der
bin ich.
Ich fuhr mit Königs,
Pröpper, Schweden und mit Bell,
des Bürgermeisters DKW der
war nicht schnell.
Darum nahmen wir den
Opel-Blitz,
darüber können wir
erzählen, was meinst du Kochs Fritz.
Der Koch und ich so wie man
sagt,
uns einmal schwer der
Willmut plagt.
Nach Wevelinghoven wurde
gefahren,
und nicht zu langsam, kann
ich euch sagen,
denn als wir fuhren wieder
nach Haus,
fuhr ich den Wagen richtig
aus,
auf einer Strecke, knapp
tausend Meter,
bekam ich ihn auf 90
Kilometer.
Ich darf euch sagen noch
dabei,
die Straße war sofort dort
frei.
So bin ich gefahren in
Regen und Sonnenschein,
und kam immer gut und
gesund an Daheim.
So wär' ich gefahren durch
Wetter und Schnee,
doch das Wort unseres Herrn
Bürgermeisters tat mir sehr weh.
Er hat gesagt vor unserer
Wehr,
kein Jugendlicher fährt
ein Fahrzeug mehr.
Drum fahr ich jetzt Rad;
durch Wetter und Wind,
die goldene Lenkstange, die
bekomm ich bestimmt.
Das Eis war gebrochen, ich hatte einen tollen Beifall und wagte
gleich eine weitere Angelegenheit, die schon längere Zeit bereinigt werden mußte, in
obiger Form zu offenbaren. Der DKW unseres Herrn Bürgermeisters, der auch immer
fahrbereit in der Feuerwehrhalle stand, war nämlich beschädigt worden, nur wußte keiner
wann und von wem. Hier nun das Eingeständnis!
Kochs Fritzchen ist ein
feiner Mann,
weil er es gut mit dem
Bürgermeister kann.
Denn wenn der
Bürgermeister spricht,
an meinem Wagen ist kaputt
Stoßstange und Licht.
Wenn er dann noch betont
dabei,
ich übergeb' die Sache der
Kriminalpolizei.
Dann denkt das Fritzchen
sich im Stillen,
den kann ich beruhigen aber
nicht mit Pillen.
Er spricht sofort: ach
lieber Mann,
beim nächsten Dienst ich
fang mit Nachforschen an.
Wenn ich den Kerl hab
rausgefunden,
als erste Strafe er läuft
2o Runden .
Der Bürgermeister sieht
alsdann
den Fritzchen Koch
vertraulich an,
er denkt natürlich im
geringsten nicht,
daß vor ihm steht der
Bösewicht.
Darum konnte er forschen
bei Tag und Nacht,
den Koch, den hatte er
nicht in Verdacht.
Nun war alles gesagt und gestanden, was einzugestehen war. Wir
Feuerwehrjungens gewannen überall Anerkennung und Einfluß.
Das genaue Gegenteil erlebten wir aber von Tag zu Tag mehr bei der
übrigen Hitlerjugend. Da gab es einen Streifendienst, welcher für Ordnung innerhalb der
HJ sorgen sollte. Wenn Jugendliche beispielsweise abends nach 20.00 Uhr noch irgendwo von
der Streife angetroffen wurden, machten diese eine Meldung und irgendeine Strafe folgte
hinterher. Zu dieser Zeit war der Bahnhof erstes Anlaufziel der Jugend. Wir
Feuerwehrjungens verkehrten außerdem gerne im Rheinischen Hof, und zwar gab es dort eine
Gaststätte oder Bierausschank von unserem aktiven Feuerwehrmann Karl Wüsthoff. Der
sogenannte Streifendienst war natürlich bestrebt, uns Feuerwehrjungens oft und überall
zu schnappen, so daß wöchentlich wenigstens einer von uns irgendeine Anzeige in Empfang
nehmen durfte. Ich erinnere mich, daß Hans Königs einmal an einem Tag im Rathaus auf der
ersten Etage von einem Parteimensch furchtbar zurechtgestaucht wurde und anschließend auf
Parterre, bei der Polizei, belobigt und belohnt wurde, weil er ein Fäßchen Butter
gefunden und abgegeben hatte. Die Streifendienstler waren, wenn auch alle unter 20 Jahren,
schon echte Nazigrößen, die eigentlich ihrem Führer an der Front ihre Bereitschaft
hätten zeigen müssen.
Hans Königs in voller
Montur im Eingang des Unterstandes in unserem Garten
Zum Glück gab es aber hier und da in unserer Jugend auch noch
schöne Tage, woran ich mich gerne erinnere. Man muß wissen, Fest- Feierlichkeiten sowie
Tanzveranstaltungen waren während des Krieges verboten, also mußten wir uns selbst
irgend etwas Abwechslung verschaffen. Friedel Bell hatte ein Akkordeon, wir Jungen und
Mädels gingen dann musizierend und singend ins Feld bis zum Bedburdycker Bogen (alte
Bahnüberführung für landwirtschaftliche Fahrzeuge) und ließen da unseren Kehlen freien
Lauf. Oder wenn ich an Schmitz Hännes denke: sein Vater und der zum Betrieb gehörende
Jean waren Soldat und Hännes mußte als ganz junger Bursche den Betrieb, Schmitz hatten
damals Heu- u. Strohhandel, sowie etwas
Ackerschaft mit 3 Kühen, mit seiner Mutter führen. Hännes war damals schon im
Düsseldorfer Tatternsaal sowie auf der Neusser Rennbahn ein alter Bekannter. Seine Mutter
war eine geborene Deden und in den Vorkriegsjahren und auch nach dem Krieg auf den
Kirmesmärkten zuhause. Hännes hatte dieses leichtlebige Kirmesblut von Kind an in den
Adern, ihm war nichts zu viel und nichts zu schwer, er war immer guter Dinge. Wenn wir auf
seinen Hof kamen, um eventuell etwas zu helfen, war immer eine Überraschung fällig,
entweder hatte er eine Wasserfalle installiert oder er saß melkend unter den Kühen und
beim ersten Schritt in den Stall bekam man einen Milchstrahl ins Gesicht. Auch hatte er
mit 17 Jahren schon einen Führerschein mit einigen Einschränkungen.