Der erste Befehl, den Giesers entgegennahm war: Gasalarm. Ich fühlte mich dann gefordert, bat den Stubenkameraden Grabowski (er kam aus Essen), für mich Stubendienst zu machen, zog mich auch feldmarschmäßig an und bat dann den Obertruppführer Schiller, natürlich mit dem gewissen Lächeln im Gesicht, mitgeschliffen werden zu dürfen.

Was sich dann abspielte, läßt sich kaum in Worte fassen. Er ging mit uns so ca. 200 m vom Lager entfernt und zog dann alle Register der damaligen Ausbildungskünste. Sollte mein Leidensgenosse Giesers noch leben, so wird er sich genau wie ich an den Schweiß und an die Tränen, aber auch an das triumphierende Lächeln erinnern.

Was wir an diesem Morgen schon vor dem Frühstück haben erdulden müssen, ist kaum zu fassen. Wahr ist aber, daß wir beide nie einen Befehl verweigert haben und deshalb auch nie eine Stunde im Knast waren. Manch einer mag denken, ich würde Märchen zu Papier bringen, ich kann nur beteuern, daß meine bisherigen Erzählungen und all das, was ich in diesen Erinnerungen noch schreiben werde, der Wahrheit entspricht.

So muß ich eben eine kleine Episode, die sich mit unserem Zugführer Kloß (mit dem wir ja Frieden geschlossen hatten) ereignet hatte, kundtun. Wir waren nachmittags beim Ordnungsdienst und konnten uns unser Lachen mal wieder nicht verkneifen. Dann meinte Herr Kloß auf einmal: Wer jetzt noch einmal lacht, der holt seinen Tornister und zwei Ziegelsteine und macht damit seinen Ordnungsdienst. Ich platzte aus. Darauf: „Moll - wie gesagt - Tornister und zwei Ziegelsteine“. Als ich mich dann, wie befohlen, zurückmeldete, bat ich unseren Obertruppführer, jetzt hinten ins Glied eintreten zu dürfen. Ja warum das denn? Weil ich sonst nachher 10 Ziegelsteine im Tornister habe. Er gewährte mir die Bitte und meinte: Ich weiß, daß Sie nicht der Alleinschuldige sind.

Wir waren mittlerweile 2 Monate beim RAD und wurden plötzlich auch am Karabiner ausgebildet. Zuerst dachten wir, man wollte uns gleich vom RAD an die Front befördern. Das war aber ein Trugschluß, weil immer nur ein Zug Ausbildung an der Waffe hatte und das geschah auch nur von einigen wenigen Ausbildern.

Als dann aber die alliierten Streitkräfte in Cherbourg gelandet waren, erfuhren wir, daß unsere Abteilung dort eigentlich zum Bunkerbau eingesetzt werden sollte. Wir hatten aber keinen Müßiggang zu verzeichnen, denn es kamen neue Aufgaben auf die Abteilung zu. Durch die ständige Bombardierung im Westen Deutschlands (also unsere Heimat), mußte man die Flüchtlinge irgendwo unterbringen.

Es wurden irgendwo in Deutschland Behelfshäuser aus Holz gefertigt, die dann in der Nähe von Hohenelbe aufgestellt werden mußten. Es handelte sich um Dreizimmer-Häuschen, die zwar sehr primitiv waren, aber aufgestellt doch einen stabilen Eindruck machten. Diese Häuschen wurden dann mit Behelfsmöbel und kleinem Herd bestückt.

So entstand in Waldesnähe ein neues Dorf, was innerhalb weniger Wochen von uns komplett aufgestellt wurde. Wir wurden jeden Morgen mit ein paar alten Bussen zu den Baustellen gefahren und kamen spätnachmittags wieder zurück.

Durch einen winzigen Unfall am ersten Arbeitstag hatte man festgestellt, daß die Abteilung auf der Baustelle ohne jeden Sanitäter war. Am nächsten Morgen stand die Abteilung fertig zum Abmarsch, aber irgendeiner mußte die Koppeltaschen, in denen sämtliche Utensilien eines Sanitäters untergebracht sind, übernehmen. Der größte Übeltäter der Abteilung - also ich - wurde dafür vorgeschlagen, und alles Sträuben nutzte nichts. Ich wurde quasi auf Befehl zum Sanitäter gemacht.

Man sollte eigentlich - besonders nicht als Mann - sagen, dies oder jenes kann ich nicht. Diese Feststellung habe ich in Sachen Sanitäter auch machen müssen. Ich hatte in wenigen Tagen morgens während oder nach der Kaffeepause soviel Betrieb, wie eine kleine Arztpraxis. Dabei wurde natürlich einiges an Verbandmaterial sowie Pflaster und auch einfache Salben verbraucht. Ich habe mir selbst einige Male auf die Schulter geklopft, denn ich verstand es auch, mit Schere und Pinzette umzugehen. Ja ich war keineswegs zittrig oder nervös, wenn ein Arbeitsmann einen Holz- oder Metallsplitter entfernt haben mußte.

Als ich erstmalig die Heilstube betrat, um meine Koppeltaschen wieder aufzufüllen, gab es keinerlei Schwierigkeiten. Dafür ging mein zweiter Anlauf aber total in die Hose. Der Heilgehilfe Untertruppführer Rothardt machte mich derart zur Minna, daß mir die Lust am Sanitätersein verging. Dabei war dieser Rothardt viel weniger als ½ Portion, dem konnte man ein “Vater unser“ nicht nur durch die Backen blasen; aber er war eine Berliner Großschnauze.

Ich war im ersten Moment ziemlich schockiert und wollte auf meine Stube gehen, aber noch in der Türe machte ich ihn darauf aufmerksam, daß ich am nächsten Morgen beim Appell die Sanitaschen dem Führer vom Dienst übergeben würde und unter diesen Umständen nicht mehr Sanitäter sein würde. Da merkte ich aber sofort, daß ich ins Schwarze getroffen hatte, denn er wurde von einer Minute zur anderen nicht nur umgänglich, sondern regelrecht freundlich. Er wollte mich dazu bewegen, allabendlich zu ihm zu kommen, um die verbrauchten Sachen zu ergänzen, was mir aber gar nicht zusagte. Ich machte ihm meinerseits den Vorschlag: er solle doch selbst mit auf die Baustelle fahren, da die Abteilung ja ohnehin menschenleer sei. Davon wollte er nun überhaupt nichts wissen, im Gegenteil, nach seinen Darlegungen war er der Wichtigste der ganzen Abteilung.

Durch diese Wortklauberei war mir der Name Muselmännchen eingefallen und diesen brauchte ich ab sofort immer, wenn es sich um den Heilgehilfen Untertruppführer Rothardt handelte. Es dauerte dann auch nicht all zu lange, bis eines Abends eine Trillerpfeife ertönte und die Stimme des Heilgehilfen mir den Befehl gab, in die Heilstube zu kommen. Ich hatte zwar die richtige Ahnung, aber nahm zum Schein die Koppeltaschen mit runter. Nachdem ich mich vorschriftsmäßig gemeldet hatte, wurde mir ein Platz angeboten, so daß ich ihm, er schrieb gerade einen Brief, gegenüber saß. Auf einmal, ohne seinen Kopf mir zuzuwenden, kam die Frage: Moll, wer bin ich eigentlich? Meine Antwort: Sie sind der Heilgehilfe Untertruppführer Rothardt. Ja und sonst? Ich sage: Sind Sie denn kurzfristig befördert worden? Dann etwas lauter: Moll ich möchte wissen, wer oder was ich sonst noch bin? Ja jetzt weiß ich erst, worauf Sie hinaus wollen. Sie sind - wie gesagt - der Untertruppführer Rothardt und dann nennt man Sie Muselmännchen.

Nun wollte er von mir wissen, wer ihm den Namen gegeben hatte oder ich sollte eingestehen, daß ich der Übeltäter wäre. Er hätte noch fünf Minuten zu schreiben, wenn die um wären, müßte ich mit dem Schlimmsten rechnen. Da gab es bei mir kein Zögern, ich sagte: „Untertruppführer, sehen Sie bitte die fünf Minuten als verstrichen an, ich kann Ihnen nachher nicht mehr sagen wie jetzt.“Er gab keine Antwort, schrieb seinen Brief fertig und nach 10 Minuten stellte er die gleiche Frage, die dann auch mit gleicher Antwort wie vorhin erledigt wurde. Er entließ mich wutentbrannt aus seinem Zimmer und meinte: Wir sprechen uns noch.

Es war mittlerweile stockdunkel, und ich erschrak etwas, als mich unser Obertruppführer Kloß ansprach. Er hatte nämlich sein Zimmer gleich neben dem des Untertruppführers und hatte scheinbar jedes Wort mitgehört. Mensch Moll, sind Sie eine Marke, meinte er. Ich stellte ihm dann noch die Frage, ob mir der Untertruppführer etwas andrehen könnte, worauf Herr Kloß meinte: Ich hätte mich bestens aus der Affäre gezogen.

Meine RAD-Zeit habe ich noch sehr gut in Erinnerung, aber über genaue Daten habe ich nie Buch geführt. Es passiert auch schon, daß ich irgendwann nachts derartige Begebenheiten im Traum wieder erlebe. Ich kann meinem Schöpfer gar nicht genug für die noch intakte Denk- und Erinnerungsgabe mit 71 Jahren danken.

So werde ich auch nie die Sache mit dem zerbrochenen Teller vergessen. Unser Feldmeister und Abteilungsführer war mittlerweile durch einen Oberfeldmeister abgelöst worden. Dieser Mann war das genaue Gegenteil seines Vorgängers. Er hatte bis dahin in Rußland als Hauptmann einer Flak-Batterie im Erdeinsatz (Panzerabwehr) gekämpft. Seine Uniformjacke war mit einigen Auszeichnungen dekoriert, wovon das EK 1 aus dem ersten Weltkrieg gut erkennbar war. Mit seinen schätzungsweise 58 Jahren machte er auf uns RAD-Kinder einen väterlichen Eindruck.

Ich hatte schon erwähnt, daß unser Essen sehr bescheiden war. Nun hatte aber ein Arbeitsmann auf einer Postkarte seiner Mutter mitgeteilt, daß ihm beim Essen der Teller gefallen und kaputt sei. Dies wäre aber nicht schlimm, schrieb er weiter, denn die 5 Nudeln, die es gab, konnte ich gut aus der Hand essen. Jeder Soldat und Arbeitsmann wußte natürlich, daß die Post, auch Briefe, Kontrollen unterlag. So war diese Postkarte auch in der Schreibstube aussortiert worden und lag abends beim Essen unserem Abteilungsführer vor.

Die Schreibstubenleute hatten die Angelegenheit schon populär gemacht und in der Abteilung rätselte man nur noch, wieviel Wochen Bau der Arbeitsmann bekommen würde. Auffallend an diesem Abend war, daß das ganze Führergremium am Tisch saß. Jeder wartete darauf, daß der Arbeitsmann verdonnert würde; aber unser Chef stellte kurz und bündig die Frage: „Wer ist heute Mittag nicht satt geworden?“Im nächsten Moment stand die ganze Abteilung - außer dem Führertisch - auf. Als der Abteilungschef dann noch durch Nachfrage erfuhr, daß es kaum einen Tag gegeben hatte an dem wir gutes und reichliches Essen bekommen haben, sah man dem Mann an  wie er blaß wurde. Er sagte dem Führertisch zugewandt: Ich bin lange Vorgesetzter, aber meine Leute sind immer satt geworden.

Er nahm die Karte, zerriß sie und machte seinen Führern am Tisch noch eine bissige Bemerkung, die aber von uns nicht zu verstehen war.

Vom Tage an hatten wir gutes und reichliches Essen, aber wie man hörte, verließen die Herren Führer nicht mehr das Lager mit vollbepackten Aktentaschen.

Nun ging die Zeit beim RAD und in Hohenelbe dem Ende entgegen. Die Behelfsdörfer für Bombengeschädigte waren fertig und die Wehrmacht wartete gewiß schon auf uns.

Meine älteste Schwester hatte mich zwischenzeitlich zusammen mit einer Frau Flinz aus Langwaden, deren Sohn auch in der Abteilung war, besucht. Meine Schwester leitete zu dieser Zeit eine Konsumfiliale, und da sprangen für mich des öfteren einige Zigaretten raus. Ich war erstaunt, als sie mir erzählte, daß die Führer im Wachhaus alle voll des Lobes über mich und meinen Leidensgenossen gewesen wären.

Da konnte ich mir natürlich nichts für kaufen, im Gegenteil, drei Tage vor unserer Entlassung hatte unser Trupp Trupp vom Dienst. Zugführer Schiller hatte an dem Tag Führer vom Dienst. Als die Abteilung mittags zum Essen angetreten war, fragte Zugführer Schiller: „Hat Trupp 9 einen Tischspruch“? Mir fiel im Moment keiner ein und die anderen hatten - so wie fast nie - einen Einfall. Dann hieß es auch schon: Außer Trupp 9 alles in den Tagesraum einrücken. Trupp 9 läuft so lange, bis ihr einen Tischspruch habt.

Wir hatten kaum zum Laufen angesetzt, als mir schon aus meinem reichhaltigen Repertoire ein Tischspruch einfiel und ich dem Obertruppführer dementsprechend Meldung machte. Dieser sagte dann: „Sie haben mir nichts zu melden.“Ich dachte nur noch daran, wie ich in der Heilstube bei meiner Krankmeldung gleichermaßen abgekanzelt wurde, drehte ab, lief an meinen Kameraden vorbei und sagte denen, keiner sagt mehr einen Tischspruch, die drei Tage kommen wir ohne Essen aus.

Nachdem wir einige Runden gedreht hatten, ließ er uns halten, rechts um, hat jemand von Euch einen Tischspruch, keiner meldete sich. Moll, haben Sie einen Tischspruch? Nein, Obertruppführer, Sie hatten doch eben einen? Der ist mir wieder entfallen, Obertruppführer.

Dann hieß es: Gerät das war Löffel, Gabel und Messer an die Böschung legen, und wir wurden bis 10 Minuten vor Mittagspausenende geschliffen bis zum Geht nicht mehr. Da keiner von Trupp 9 einen Tischspruch gesagt hatte, wurde der dienstliche Befehl erlassen, daß der ganze Trupp 9 am Vorabend unserer Entlassung zehn Tischsprüche aufzuschreiben habe und diese beim Abendessen von jedem vorgetragen werden sollen.

Dies war ein klarer Befehl, dem wir uns nicht widersetzen konnten. Unser Obertruppführer Kloß winkte mich zu sich und gab mir ein Buch, in dem hunderte Tischsprüche standen; er meinte nur: Damit sie einen guten Abgang haben.

Ich ließ mir daraufhin mit dem Aussuchen der 10 Tischsprüche Zeit und suchte nur die härtesten zweideutigsten aus. Am nächsten Abend, kurz vor unserer Verabschiedung, mußten wir dann unsere Sprüchlein aufsagen.

Ich bin nie ein Sprücheklopfer gewesen, aber konnte stets ein Gedicht vortragen. So gestaltete sich dieser Abschiedsabend für mich als Galavorstellung. Wir mußten jeder nach vorne an den Führertisch kommen und da die Sprüche vortragen. Als ich mich in Richtung Führertisch bewegte, ging schon ein Raunen durch die Abteilung, wie aber die saftigsten der saftigen Tischsprüche einer nach dem anderen bestens und mit Mimik vorgetragen wurden, war die Abteilung einschließlich Führerkollegium begeistert.

Ich hatte somit noch einen guten Abschluß gefunden, hatte ich doch das, was man mir austreiben wollte,“das Lachen“,am letzten Abend noch hundertfach verbreitet.

 

 

 

In den ersten Augusttagen durften wir unsere Zivilsachen wieder in Empfang nehmen und die Heimreise antreten. Die Bahnfahrt dauerte natürlich viel zu lange, aber Grevenbroich und auch Orken war zu dieser Zeit, bis auf einige Bombenschäden, noch gut zu erkennen. Die Fliegerangriffe in der Heimat nahmen aber von Tag zu Tag an Zahl und Heftigkeit zu.

In meinem Elternhaus war die Frage akut, ob meine Mutter und die jüngste Schwester dem Evakuierungswunsch der Behörden nachkommen soll, oder nicht. Der Schwager und die Schwester meiner Mutter würden dann mitgehen. Das paßte mir überhaupt nicht, weil ich einige Male miterlebt hatte, wie der Onkel meine Tante abkanzelte. Aber mein Vater war die meiste Zeit in Düsseldorf, weil einmal die Züge kaum noch fuhren und zum anderen die Firma Schwietzke eine kriegswichtige Fabrik war, wo Torpedorohre gebaut wurden und er dort in verantwortlicher Position arbeitete.

A propos Verwandtschaft: Dieser besagte Onkel war ein Ich-Mensch erster Klasse, weder seine Frau noch die Kinder durften sich ohne seine Einwilligung das geringste erlauben. Er war Bahnbeamter (trug natürlich Uniform) und ließ auf dem Neusser Bahnhof die Züge abfahren. Seine Frau war genau wie meine Mutter und deren älteste Schwester überaus religiös erzogen, und waren tatsächlich dem Manne untertan. Ohne meinen Vater loben zu wollen konnte ich als Kind schon erkennen, daß meine Mutter von den 3 Schmitz-Frauen das große Los gezogen hatte, wenn auch nicht unbedingt auf finanzieller Ebene.

Dann gab es da noch den Onkel Peter in Neuss, welcher in der Familie Schmitz nur mit unser Junge gehandelt wurde. Er hatte in der Stadt Neuss die Stadtkasse zu verwalten und war in seiner Familie sowie unter allen Kollegen und Bekannten ein sehr geschätzter Mann. Seine drei Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen, spielten jeweils ein Instrument, so daß dort manchmal Hauskonzert auf dem Programm stand. Auf Grund seiner Position wurde Onkel Peter sehr oft vom Neusser Rennsportverein für den Totalisator, wo die Wettgelder eingingen, beansprucht. Wir hatten sehr guten familiären Kontakt miteinander. Ich war, weil die beiden Jungen von Onkel Peter zur, wie es damals hieß, höheren Schule gingen, mit deren abgelegten Anzügen immer gut gekleidet. Leider ist mein Onkel Peter bei einem Bombenangriff auf Neuss ums Leben gekommen. Unsere Verwandtschaft väterlicherseits war weit verzweigt und zahlenmäßig viel größer. Wenn wir uns mal zankten, sagte Vater immer: „Wir waren dreierlei Kinder und verstanden uns besser als ihr.“

Onkel Peter aus Neuss

 

In Gustorf, wo Vater geboren war, hieß es immer, meine Kinder, deine Kinder, unsere Kinder. Meine Oma hat dreimal geheiratet, und für 8 oder 9 Kinder aufkommen müssen. Sie hat, obwohl selbst klein, keines der Kinder über Ihren Kopf wachsen lassen, aber trotzdem brauchbare Menschen aus allen gemacht. Unsere Tante Helene war die einzige richtige Schwester meines Vaters, die Verbindung zu ihr mag etwas inniger gewesen sein, aber bei unseren Besuchen in Gustorf, die mal da und mal dort waren, konnte von Stiefgeschwistern keine Rede sein. Soviel über die, wie man sagt, bucklige Verwandtschaft.

Die Evakuierung meiner Mutter und der kleinen Schwester wurde solange, ich daheim war, verschoben. Ich besuchte meine ehemaligen Freunde aus der Feuerwehr-HJ und bekam wenige Tage nach meiner Ankunft schon den Stellungsbefehl zur Wehrmacht.

Bei der Abschiedsfeier zum RAD hatte ich (also vor 4 Monaten) mein Fahrrad an der Gaststätte Wüsthoff stehen lassen, ich war erstaunt, dieses noch an gleicher Stelle vorzufinden. Wenn auch vieles in dieser Zeit verwerflich war, so muß man doch die Ordnung, die eben der Gesetzgebung entsprechend war, heute noch mit guten Noten bewerten.

Die Menschen in unserer Region wurden allerdings von Tag zu Tag ärmer. Wer Bombenschaden zu beklagen hatte, wußte nichts Neues zu bekommen. Ob Möbel, Wäsche, Baumaterial, alles ging auf Bezugsscheine und die waren nicht einfach zu bekommen.

Das Volk konnte sich zwar satt essen, aber Südfrüchte kannten wir sowieso kaum und zu der Zeit überhaupt nicht.

Unser Führer hatte wirklich die göttliche Gabe, seinem Volk beizubringen, daß Magermilch besser als Vollmilch sei, und Margarine übertraf angeblich gute Butter bei weitem. Wer nicht irgendwie Verbindung hatte, wußte selbst auf Marken keine Spirituosen oder Rauchwaren zu bekommen.

Hier muß ich unserem damaligen Gastwirt vom Jägerhof, Herrn Matthias Stammen, ein Lob erteilen. In der schlechten Zeit verließ bei ihm kein Urlauber (Soldat) das Lokal, ohne eine Packung Zigaretten zu bekommen. Selbst wir grünen Jungens unter 18 Jahre wurden da nicht ausgeschlossen.

In dieser Zeit war Grevenbroich zwar weit kleiner als heute, es gab an Ärzten nicht ¼ von der jetzigen Anzahl, und volle Arztpraxen, wie zur Zeit, waren unbekannt. Also muß man wirklich annehmen, daß die Magerkost uns damals gesund erhalten hat.

Auch erinnere ich mich noch daran, daß im letzten Kriegsjahr überall Plakate mit ich möchte sagen einem Schattenmann angeklebt waren, er sollte einen Spion versinnbildlichen und mahnte zur Verschwiegenheit.

Während meinem Zwischenspiel in der Heimat wurde von Tag zu Tag deutlicher, daß der Grevenbroicher Verschiebebahnhof der feindlichen Luftwaffe sehr wichtig erschien, denn da gab es nun laufend Tiefangriffe. Es war gewiß nicht ermutigend für mich, bei solchen Voraussetzungen die Angehörigen und die Heimat zu verlassen.

Mein Bruder war zu der Zeit in Italien, in der Nähe von Monte Cassino, und ich mußte mich in Münster stellen. In Münster wurden wir nur eingekleidet und kamen sofort nach Dänemark zur Ausbildung.

Die Fahrt ging damals per Eisenbahn über die Grenzstadt Flensburg. Zu dieser Zeit dachte noch keiner daran, daß dort einmal die Sünderkartei der deutschen Kraftfahrer beheimatet würde. Jedenfalls ging es von dort ins Land Dänemark hinein.

Hier bewahrheitete es sich wieder mit dem ersten Eindruck: „Dänemark war ein schönes, sauberes Land mit netten Menschen, die auch damals schon über einen gewissen Wohlstand verfügten.“Wir fanden unsere erste Bleibe in der Nähe der Stadt Esbjerg. Obwohl es dort keine Kaserne gab, wurden wir in einem dreiwöchigen Lehrgang an der 2 cm Panzerabwehrkanone ausgebildet, um dann anschließend an der nahegelegenen Küste in einem Bunkersystem die dreimonatige Ausbildung zu absolvieren.